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Erlebnis und Begegnung

Erlebnis und Begegnung

Er war 10. Einer von der Sorte neugieriger Entdecker, der Dir auf die Frage, ob das Weltall unendlich ist, antwortet „Wäre es unendlich, gäbe es auch unendlich viele leuchtende Sterne und die Nacht wäre taghell“. Es war die Neugier, die in ihm brannte. Die Faszination, die alles aus scheinbar nichts erschafft; wie die Flamme das Feuer.

An der Schule faszinierte wenig.

Nicht so an diesem Tag im Juli.

Rasenspränger verzauberten mit ihren fröhlichen Spielen die Sinne. Der Duft von frisch geschnittenem Gras lag in der Luft.
Hitze stieg vom Asphalt auf.
Die nette Frau vom Eisladen strahlte wie die Königin der Welt.

Die großen Ferien waren da.

Die Kette knackte bei jeder Umdrehung und sang ihr Lied von Freiheit auf konstant kreisender Bahn.

Er hatte die Hacken auf die Pedale gesetzt und trat langsam zum Lied des rädernen Freundes.
So fuhr er gern. Die Knie nach außen, eine Hand am Lenker, die andere lässig zur Seite herab hängend.

Der Heimweg war um vieles angenehmer, als die erste Fahrt des Tages, auf der ihn stets eine schmerzende Müdigkeit begleitete. Ausserdem ging es leicht bergab und die Sonne wärmte angenehm.

Hunger macht munter und der Tag hält noch alles bereit - er mochte die Mittagszeit.

Vergessen waren nichts sagende Bücher und wechselnde Aufmerksamkeiten.

Was jetzt zählte war die kühle Genugtuung der Trinkflasche noch einen letzten Strahl abgerungen zu haben. Plastikgeschmack im Mund und Wasserspritzer im Gesicht. Was konnte besser sein.

„Achtung Flugschlange.“ 

Er konnte grad noch den Kopf einziehen, als etwas schwarzes, in schlingernden Bahnen an ihm vorbeisauste.

Ein schneller, vor dem Sturz gerade noch rettender Griff, der zweiten Hand an Lenker und Bremse.

Neben ihm standen zwei Jungs. Jeder mit einem Stock und breitem Grinsen bewaffnet.

„Spinnt ihr?“

„Wieso? Hast du den Wetterbericht nicht gehört. Tief fliegende Schlangen angesagt.“

Im Gras neben ihm lag eine tote Schlange. Die anderen Jungs kamen näher.

„Haben wir hinter der Schule gefunden. War schon tot.“

„Echt? Will ich sehen.“

Er trat näher und obwohl er wusste das sie tot sein musste, spürte er wie sein Herz die ganze Brust zu füllen schien. Noch einen zaghaften weiteren Schritt, jederzeit bereit zum rettenden Sprung.

Er konnte Sie jetzt deutlich sehen.

Schwarz glänzend und bedrohlich schön lag sie im Gras.
Er wollte noch näher heran, um genauer zu sehen. Aber es war nicht möglich. Irgendetwas hielt ihn auf Abstand. Als würden sich ihre beiden Pole gleichgerichtet magnetisch begegnen. Es war ihr Tanzbereich an dessen Rand er stand; wie gelähmt und doch ganz da.

Die zwei anderen Jungen spürten diesen Bann nicht mehr. Und da sie schon wussten, dass sie nicht mehr zum Tanze fordern würde, schob der eine seinen Stock, ganz ohne Scheu, unter Sie und schleuderte sie erneut in hohem Bogen über eine nahe gelegene Mauer und ihre Stöcker gleich hinterher. Die beiden lachten und rannten fort.

Gebannt schaute er auf die Mauer aus rotem Backstein. Dann senkte sich, Ehrfurcht der Begegnung schuldend, gleichsam ihre Kürze bedauernd, sein Blick.

Nach Hause fuhr er nicht mehr lässig doch leicht, beide Hände am Lenker.
Er dachte dabei an den Moment der Begegnung. Es schien als hätte er ewig gedauert, so kurz er doch war.

Wochen später.
„Opa, was ist ein Erlebnis ?“
„Ein Erlebnis ist ein Moment, in dem Du ganz wach bist, mein Junge“
„Das versteh ich nicht“
„Schau mein Junge, du lebst. Das ist ein Wunder. Die großartigen Dinge geschehen ständig. Die Frage ist nur ob wir hinschauen und sie erkennen.“
„Woher weiß man, dass man gerade hinschaut?“
„Wenn Du Dich frei und leicht fühlst, wenn alles hell und klar ist.“

Der nächste Tag kam und mit ihm die Schule. „Mein schönstes Erlebnis in den Ferien war der Anfang der Ferien“. Alles lachte. Die Lehrerin verzog das Gesicht. „ Das ist doch kein Erlebnis.“
Doch die schlechte Note störte ihn nicht, denn er roch das Gras und spürte den Wind, der ganz leicht durch das halb geöffnete Fenster strich.


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Kategorie: Geschichten

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